Hinweis: Die Forschungsstelle Ostmitteleuropa wurde zum 30.9.2004 aufgelöst

Was bietet die Forschungsstelle Ostmitteleuropa dem Familienforscher?

Klaus-Dieter Kreplin

Allgemeiner Teil aus:
Ratgeber '95 Familienforschung Mittel- und Osteuropa, herausgeg. von Irina und Rainer Zielke, Neustadt a.d.Aisch 1996, S.42-47

Inhalt (allgemeiner Teil):


Familienforschung als Kulturgeschichte

Wer sich ernsthaft mit Familienforschung beschäftigt, weiß, daß es mit der Zusammentragung der nackten Daten der behandelten Personen, ihrer Ahnen, Nachfahren usw., nicht getan ist. Vielmehr ist ein weites Wissen um das historische, kulturelle und geographische Umfeld der untersuchten Personen notwendig, um eine mehr als nur oberflächliche Familiengeschichte schreiben oder allein schon um die verschiedenen Arten von Quellen richtig auswerten und interpretieren zu können. Das gilt besonders für den ost- und ostmitteleuropäischen Raum, der lange Zeit in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Hier bieten Institutionen wie die Forschungsstelle Ostmitteleuropa Abhilfe, die, neben der Bereitstellung von rein genealogischen Materialien wie z.B. genealogischen Sammlungen und den ostdeutschen Bänden des Deutschen Geschlechterbuches, besonders auch die Verbindung zur historischen Orts- oder Kulturgeschichte fördern und pflegen.

 Nach dem zweiten Weltkrieg und nach Flucht, Vertreibung und Zwangaussiedlung der dort lebenden Bevölkerung standen sämtliche der im damaligen Ostdeutschland gelegenen Forschungseinrichtungen nicht mehr zur Verfügung. Unter Ostdeutschland waren dabei die Teile der ehemaligen preußischen Provinzen östlich von Oder und Neiße zu verstehen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat der früher in Oberschlesien tätig gewesene Volkskundler Prof. Alfons Perlick im Jahre 1952 aus kleinen Anfängen heraus an der damaligen Pädagogischen Akademie Dortmund eine Ostdeutsche Forschungsstelle ins Leben gerufen. Sie hat sich aus dem ebenfalls von ihm 1951 dort eingerichteteten Ostdeutschen Volkskunde-Archiv entwickelt.

 Ziel dieser Forschungsstelle war es vor allem, das historische Erbe Ostdeutschlands in Westdeutschland zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt lag zunächst in der Aufarbeitung und Bewahrung ostdeutscher Stammestraditionen in Verbindung mit ostdeutschen Heimatforschern auf wissenschaftlicher Grundlage, wurde dann aber bald erweitert auf den gesamten kulturellen Bereich. Es erschien eine Reihe von Publikationen, teils herausgegeben in einer eigenen Publikationsreihe, so u.a. verschiedenen Ortsmonographien, aber auch biographische Arbeiten, so über Joseph Freiherr von Eichendorff (1964), Heinrich von Kleist (1972) und das märkisch-brandenburgische Geschlecht Wedding (1972). Daneben lagen weitere Schwerpunkte in der Untersuchung der jahrhundertealten Beziehungen zwischen dem deutschen Osten und Westdeutschland, speziell Nordrhein-Westfalen, und der Erarbeitung von Bibliographien. Im Laufe der Zeit kam der Versuch hinzu, die veränderten Lebensformen, das Brauchtum, die Organisationen und Patenschaften im Sinne der Identitätssuche der sich in Westdeutschland allmählich integrierenden Vertriebenen und Flüchtlinge festzuhalten und zu dokumentieren, was sich besonders in einer Reihe Staatsarbeiten niederschlug, die teilweise auch publiziert wurden. Bis heute erscheinen bei der Forschungsstelle die Mitteilungen des Beuthener Geschichts- und Museumsvereins.

 Nach Prof. Perlick übernahm der ebenfalls aus Oberschlesien stammende Akademische Oberrat Johannes Hoffmann im Jahre 1973 die Leitung der Forschungsstelle. Zugleich dehnte sie ihre Aufgabenstellung über den ehemals preußischen Osten hinaus auch auf Probleme der Beziehungsgeschichte mit den östlichen Nachbarvölkern aus und brachte das auch in der neuen Bezeichnung Forschungsstelle Ostmitteleuropa zum Ausdruck. Im Jahre 1974 gelang es, eine Anbindungsvereinbarung mit der damaligen Pädagogischen Hochschule, seit 1980 Universtät Dortmund abzuschließen. Seitdem ist die Forschungsstelle Ostmitteleuropa ein Institut an der Universität Dortmund.

 Unter AOR Hoffmann wurde die Veröffentlichungspolitik fortgesetzt, insbesondere auch die Veröffentlichung von Ortsmonographien in einer eigenen Publikationsreihe B. Hinzu kamen neu verschiedene Übersetzungen aus dem Polnischen, wobei besonders hervorzuheben ist eine Auswahl von Aufsätzen u.a. zu Besiedlungsgeschichte und Volkstumsänderungen von Pommern und Pommerellen des bekannten (inzwischen verstorben) Historikers Kazimierz Slaski, ferner Publikationen über die polnischen Arbeitsemigranten Ende des 18. und in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in das Ruhrgebiet (1984) und nach Hamburg (1986).

 Ein Schwerpunkt der Forschungsstelle liegt heute in der Bereitstellung von Materialien für und der Beratung von Schülern und Lehrern zur Ost- und Osteuropakunde und der fast 1000jährigen deutsch-slawischen Nachbarschaft.

 Da die Erlebnisgeneration zahlenmäßig immer geringer wird, gewinnt immer stärkere Bedeutung die Beratung von Personen, die sich wissenschaftlich (Seminararbeiten, Dissertationen, Habilitationen, aber auch ortsgeschichtliche Monographien und andere Publikationen) mit den ehemaligen preußischen Ostprovinzen und den benachbarten Völkern Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas beschäftigen. Daneben gibt die Forschungsstelle, in Verbindung mit den ihr angeschlossenen Studienstellen, auch Hilfestellung für Menschen, die die Heimat ihrer Vorfahren nicht mehr selbst kennengelernt haben und z.B. mehr, als nur nackte genealogische Daten verraten, hierüber wissen möchten.


Die Bestände der Forschungsstelle Ostmitteleuropa

Die Forschungsstelle hat systematisch eine eigene Spezialbibliothek aufgebaut mit inzwischen wohl 60.000 Bänden (Stand 1987: ca. 45.000 Bände, seitdem umfangreicher Zuwachs). Diese ist in der Universität Dortmund als Freihandbibliothek aufgestellt und auch dem auswärtigen Leihverkehr der deutschen Bibliotheken angeschlossen; eine postalische Direktausleihe erfolgt nicht. Von Anfang an wurden neben den grundlegenden wissenschaftlichen Zeitschriften zur Ostforschung auch zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften der Vertriebenenpresse gesammelt. Besonders zu vermerken ist ein (gedrucktes) Bestandsverzeichnis der im Breslauer Diözesanarchiv vorhandenen schlesischen Kirchenbücher mit deutschem Register.

 Unter den laufend bezogenen Zeitschriften befinden sich auch 14 wichtige Periodika aus Polen, ferner konnten besonders in den Jahren ab 1990 Vereinbarungen über einen Zeitschriftentausch mit verschiedenen Institutionen der neuen ostmittel- und osteuropäischen Staaten abgeschlossen werden. Aufgrund eigener wissenschaftlicher Arbeit und der Kooperation mit anderen Wissenschaftlern des In- und Auslandes liegt ein umfangreicher Bestand verschiedener publizierter aber auch unpublizierter Materialien vor (u.a. eine Reihe von Magisterarbeiten), die in der Forschungsstelle benutzt werden können. Eigene Publikationen werden zumeist selbst vertrieben, können aber auch über den Buchhandel bezogen werden.

 Hervorzuheben ist eine Sammlung von 14.700 ostdeutschen Schulschriften des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (näheres siehe unten), auch existiert ein umfangreiches Materialarchiv, erschlossen u.a. durch einen Ortskatalog und einen Sachkatalog.


Studienstellen

Der Forschungsstelle Ostmitteleuropa angegliedert sind insgesamt 12 Studienstellen, deren Leiter sich zu einer wissenschaftlichen Kooperation mit der Forschungsstelle bereitgefunden haben und jeweils für ihr Spezialgebiet zuständig sind. Die Leiter der Studienstellen leben über das ganze Bundesgebiet verstreut. Die Studienstellen sind über den gemeinsamen Trägerverein, die Gesellschaft für ostmitteleuropäische Landeskunde und Kultur e.V., vertraglich mit der Forschungsstelle verbunden.

Siehe auch die Beschreibung der Studienstellen.


Quellen


Anschriften



                    E-mail: arrendator@GoLK.studienstelleog.de web-site:http://GoLK.studienstelleog.de
                     siehe auch: http://www.studienstelleog.de
                    © Klaus-Dieter Kreplin, zum Nordhang 5, D-58313 Herdecke 1996-2005